Montag, 5. Juni 2017

Den dicken Wilhelm markieren

Für Pierre Pérignon muss es ein ganz besonderes Pfingsterlebnis gewesen sein. "Komm schnell, ich trinke Sterne", soll der Benediktinermönch in der Abtei Hautvillers beim Genuss eines Schaumweines, eben eines Champagners, ausgerufen haben. Viele Legenden begleiten die Erinnerung an Dom Pérignon (1639 - 1715). Blind soll er gewesen sein, manche Quelle will wissen, er habe gar keinen Wein getrunken. Da bekommt sein unbestreitbar bedeutendes Wirken für die Schaumweinherstellung schon fast heiligmäßige Züge. Das Champagnerhaus Moet & Chandon hat ihm in der Champagnermarke Dom Pérignon ein zeitloses Denkmal gesetzt. Verdient.

Die Kunst der Vermählung edler Weine zu einem Champagner ist seine heute noch schmeckbare große Leistung. Nicht jedem und nicht immer gelingt diese Vollendung der Veredlung. Da, wo sie gelingt, erwartet uns ein Gaumenfestival, tanzende Perlen auf der Zunge, Moment atemberaubender Sinnlichkeit. Napoleon, der große Champagner-Vermarkter, befand: "Champagner lockert die Etikette." Und Madame de Pompadour meinte: "Champagner ist der einzige Wein, der eine Frau noch schöner macht, nachdem sie ihn getrunken hat."


E.T.A. Hoffmann, der sich mit Ludwig Devrient (er hat ungewollt die Bezeichnung Sekt für Schaumwein erfunden) allabendlich im Berliner Lokal von Lutter & Wegener regelrechten Champagnergelagen hingab, schrieb einmal: "Es ist wohl herrlich, daß eine edle Frucht das Geheimnis in sich trägt, den menschlichen Geist in seinen eigensten Anklängen auf eine wunderbare Weise zu beherrschen ..."

Die alten Preußen waren eben große Champagnerfreunde. König Friedrich Wilhelm IV. hieß im Volksmund nur 'König Cliquot', Bismarck genoss überall seinen geliebten Heidsieck - für ihn endete "kurz vor meinem Magen" der Patriotismus. Und König Friedrich Wilhelm II. war landesweit nur der 'Dicke Wilhelm'. Trinkfreudig, großer Esser und Vater ungezählter Kinder aus zahlreichen Liebschaften, steht er für eine Politik zwischen Aufklärung und Absolutismus. Für die Berliner, die sich an seinem Brandenburger Tor erfreuen dürfen, markiert heute noch ein trink- und liebesfreudiger Mensch den dicken Wilhelm.

Zugleich ist es auch Ausdruck von Neid. Die Welt des Champagners ist immer mit dem Gedanken an die oberen Zehntausend, die High-Society, Prominenz, die Reichen und Schönen verbunden. Traumwelten entstehen. Marketing und Werbung bedienen dies übrigens ausgezeichnet. Und dabei ist es doch so einfach: In der schnellen, flüchtigen Weinwelt sind ein guter Champagner oder Sekt immer wieder eine Offenbarung. Hier zeigt sich das Zusammenspiel von Natur und Mensch, von Weinlagen und Kellermeisters Können, von Geduld, Ausdauer und hoher Qualität. Für jeden erschwinglich.

Sekt oder Champagner? Eine ewig offene Frage.  Sie zu beantworten versage ich mir. Wie könnte ich auch. Es ist eine höchstpersönliche Vorliebe. Ich weiß, es gibt ausgezeichnete Sekte und manchmal mittelmäßige Champagner. Häufig ist es umgekehrt. Immer wieder probieren, neue Schaumweine verkosten, offen für Entwicklungen (über Pet Nats schreibe ich mal gesondert), so lässt sich vielleicht irgendwann der nahezu himmlische Genuss Dom Pérignons schmecken. Wer nicht warten will, der kann z. B. am 12. Juni 2017 in Frankfurt auf dem 1. Sparklingfestival Schaumweine von 45 europäischen Spitzenwinzern verkosten. Mehr Infos und Anmeldung hier: www.sparklingefestival.de.

Im übrigen sollten wir es wie Madame Lily Bollinger halten, die vor mehr als 70 Jahren auf die Frage, wann sie Champagner trinke, antwortete:

"Ich trinke Champagner, wenn ich glücklich bin und wenn ich traurig bin. Manchmal trinke ich ihn, wenn ich alleine bin. Wenn ich Gesellschaft habe, halte ich ihn für obligatorisch. Ich nippe an ihm, wenn ich nicht hungrig bin und trinke ihn, wenn ich es bin. Sonst rühre ich ihn nicht an - außer ich habe Durst."