Donnerstag, 15. Februar 2018

Rheinhessens weinfreudige Vielfalt!

Stefan Braunewell in seinem Element.
Trinkwiderstand wäre Genussverzicht in Rheinhessen. Nicht nur an der Rheinfront, auch im Rheinhessischen Hügelland. Neben der Sortenvielfalt, die hier immer noch sehr hingebungsvoll nahezu in jeder Gemeinde gepflegt wird, begeistert mich bei jedem Besuch das Engagement vieler junger Winzer und Winzerinnen. Oft sind es nicht die klassisch über Generationen geprägten, eher die aus der Mischung von bäuerlicher Landwirtschaft, Obstbau und Weinbau entstandenen Weingüter. In aller Regel mit jahrhundertealter Verwurzelung in der Heimat, aber einer vergleichsweise jungen Konzentration auf den Weinbau. Seit Jahren eine Region im Aufbruch, sagen die einen, immer noch viel Massenwein, sagen die anderen. Rheinhessen - eine Region auf der Suche nach ihrer Identität.

Das ist ja auch nicht ganz so einfach. Nehmen wir z. B. Essenheim. Ein kleiner, nahezu liebenswerter Ort, wenige Kilometer von Mainz entfernt. Hier wurde bereits 1533 die erste protestantische Gemeinde im heutigen Rheinhessen gegründet. Essenheim gehörte als Mainzer Lehen zum Herzogtum Pfalz-Zweibrücken. Und jetzt wird es kompliziert. Der Kirchenzehnte stand ursprünglich der Benediktinerabtei St. Mauritius in Tholey (Saarland) zu, später dem Mainzer Domkapitel. Ab 1533 spielte sich dann regelmäßig bei der Besetzung der Pfarrstelle in Essenheim folgendes Schauspiel ab: Der Herzog ernannte einen protestantischen Pfarrer für Essenheim, das katholische Mainzer Domkapitel prüfte den Geistlichen auf Zuverlässigkeit und vereidigte ihn, die Benediktiner erhielten den Zehnten, der lutherische Superintendent führte die Aufsicht über den Geistlichen. Da kann man schon den Überblick verlieren. Wir sind immer noch im 16. und 17. Jahrhundert. Die Kirche selbst musste von den Benediktinern, später dem Mainzer Domkapitel unterhalten werden, der Kirchturm aber von den Essenheimer Bürgern. Verwirrend. Wer aber schon einmal auf einem Kirchturm gestanden hat, weiß um die Sicht über die eigene Ortsgrenze. So etwas schärft den Blick für Heimat und Herkunft. "Herkunft verbindet" - schreibt sich daher der noch junge Verein MAXIME HERKUNFT RHEINHESSEN auf die Fahne. Mehr als 80 rheinhessische Winzer verpflichten sich zu einer dreistufigen Klassifikation - Guts-, Orts- und Lagenwein - und zur Schärfung eines rheinhessischen Profils. Unter ihnen das Weingut Braunewell in Essenheim.

Ich sitze bei Stefan Braunewell in der Vinothek. Auf dem Hof, ein typischer Aussiedlerhof der achtziger Jahre, hat er mich bei kaltem Regenwetter empfangen. Ohne Umschweife nimmt er mich direkt auf eine Zukunftsreise des Anwesens mit. Die Bauanträge sind gestellt. Ich kann die neuen Gebäude und Veränderungen fast sehen, so farbenfroh und voller Begeisterung erzählt Stefan Braunewell. Die freilaufenden Hühner, eine lebendige und nahezu fröhliche Reminiszenz an die frühere bäuerliche Landwirtschaft der Familie, nehmen unsere Anwesenheit gelassen zur Kenntnis. Sie bewegen sich durch die an den Hof angrenzenden Rebzeilen mit einer Selbstverständlichkeit, als ob sie uns sagen wollten, 'in den Weinbergen bleibt alles so, wie es ist'. Später in der wohligen Vinothek muss ich an die Hühner denken, als mir Stefan Braunewell voller Stolz vom Verein FAIR'N GREEN berichtet. 30 Weingüter in Deutschland sind mittlerweile nach den Regeln des Vereins zertifiziert. Auch das Weingut Braunewell. Nachhaltigkeit im Weinbau. Stefan und sein Bruder Christian leben das aus voller Überzeugung. Ökologie, wirtschaftlicher Erfolg und soziale Verantwortung sind für sie keine Gegensätze. Gemeinsam mit ihren Familien, ihren Eltern Axel und Ursula sowie dem Senior des Hauses, Adam Braunewell, stehen sie für einen ganzheitlichen Ansatz im Weinbau. Sie wissen sich da von einer Familientradition seit 1655 getragen. Eine bodenständige Winzerfamilie mit 25 ha Anbaufläche - im direkten Umkreis zum Hof. Internationale Erfahrung, klare Aufgabenverteilungen, schonende und nachhaltige Weinbergspflege, Holzfassausbau und eine gewisse Portion Experimentierfreude sowie ein sicheres Gespür für Qualität lassen das Weingut regelmäßig Auszeichnungen einheimsen. Dabei ist der Weinbau im Selztal gar nicht so einfach. Lange sogar belächelt. Ein herausforderndes Klima und unterschiedlichste Böden bringen Weine mit Ecken und Kanten, säurebetont und voller Kraft, hervor. Der Charakter des Selztals - ausdrucksstarke, individuelle Weine mit Persönlichkeit.

So ein Wein ist der 2016er Grauer Burgunder trocken. Ein richtiger Zechwein, ein Wein für eine gesellige Begegnung mit Freunden. Leichte Geschmeidigkeit und volle Frucht kennzeichnen diesen Gutswein. Der Wein macht Spaß. Und für 6,50 Euro die Flasche fast geschenkt. Wir verkosten die Grauen Burgunder des Weinguts. Vorweg: Eine wirklich spannende und lohnenswerte Alternative zum Riesling. Rheinhessen ist eben bunt und vielfältig. Opa Adam ist ein Ruländer-Fan. Deswegen baut die Familie heute noch die Reben an. Mit Erfolg. Leicht grummelnd wird er die Umbenennung von Ruländer, benannt nach dem aus Frankfurt stammenden Kaufmann Johann Reger Ruland, zum Grauen Burgunder hingenommen haben. Ein Tribut an den Zeitgeist.

Dem Ortswein 2016er Essenheim Grauer Burgunder trocken stehe ich nahezu sprachlos gegenüber. Was für ein Nachhall! Dieser wirklich komplexe Burgunder mit einer angenehmen Birnennote und - besser als die beiden Brüder kann ich es nicht beschreiben - "ordentlich Druck am Gaumen" lädt zu einem großen Trinkvergnügen ein. Ihr ganzes Können zeigen die Braunewells in ihren Lagenweinen 2016er TEUFELSPFAD Grauer Burgunder trocken (ein echter Weingutsklassiker!) und 2106er KLOPP Grauer Burgunder trocken. Während der Teufelspfad mit einer schönen Note von Zitrone aufwartet und lange die Zunge umspielt, erfreut der Klopp mit einer Mischung aus Marmelade und Salz den Gaumen. Ein aufregender Wein. Spätestens jetzt wird der geneigte Weintrinker zum Burgunder-Jünger. Ganz großes Kino im Glas!

Eine Herausforderung ist der 2016er ORANGE Grauer Burgunder trocken. Man muss Orange-Weine mögen. Diesen lernt man lieben! Im neunten Jahrgang präsentiert das Weingut einen Orange-Wein. Auf der Maische vergoren und wie ein Rotwein ausgebaut, überrascht der Wein mit jedem Schluck mehr. Farblich ein Hingucker, kein Wein für einfach einmal so. Ein besonderes Erlebnis jenseits des Mainstreams.

Stefan und Christian Braunewell sind Typen. So sind auch ihre Weine. Eine Klasse für sich. Essenheim und das Weingut Braunewell sind definitiv mehr als einen Besuch wert.

Mehr Infos unter www.braunewell-wein.de